Agilität ist längst mehr als ein Trend – sie ist eine Haltung, die zunehmend Einzug in komplexe IT-Projekte hält. Auch im SAP-Umfeld gewinnt das agile Arbeiten mit Scrum an Bedeutung. Doch SAP-Projekte folgen oft eigenen Gesetzen: lange Laufzeiten, starker Integrationsbedarf, viele Stakeholder und teils starre Strukturen. Wie passt da ein Framework wie Scrum hinein?
In diesem Beitrag werfen wir einen realistischen Blick auf die Einführung von Scrum in SAP-Projekten: Was funktioniert – und was bleibt Wunschdenken?
Scrum im Überblick – und im SAP-Kontext
Scrum ist ein agiles Framework, das ursprünglich aus der Softwareentwicklung stammt. Es basiert auf iterativer Entwicklung, kurzen Feedbackzyklen (Sprints), klar definierten Rollen (Scrum Master, Product Owner, Entwicklungsteam) und dem Ziel, kontinuierlich funktionierende Produktinkremente zu liefern.
Doch SAP-Projekte sind häufig geprägt durch:
- komplexe Systemlandschaften und Abhängigkeiten
- umfangreiche Customizing- und Integrationsanforderungen
- lange Vorlaufzeiten für Test- und Freigabeprozesse
- hohe Anforderungen an Dokumentation und Compliance
Diese Gegebenheiten stellen klassische Scrum-Ansätze vor Herausforderungen – und erfordern pragmatische Anpassungen.
Was funktioniert wirklich mit Scrum in SAP-Projekten
1. Klare Priorisierung durch einen starken Product Owner
In der SAP-Welt sind viele Anforderungen gleichzeitig „wichtig“. Ohne klare Priorisierung verliert sich das Team schnell in Detaildiskussionen. Ein erfahrener Product Owner, der den fachlichen Nutzen einzelner Anforderungen versteht und mutig Entscheidungen trifft, ist der Schlüssel zum Erfolg.
Tipp: Product Owner im SAP-Kontext brauchen sowohl Prozesswissen als auch ein Verständnis für technische Zusammenhänge – reine Fachbereichsvertreter oder IT-Projektleiter stoßen hier schnell an Grenzen.
2. Sprint-basierte Planung – auch bei komplexer Architektur
Auch wenn SAP-Entwicklung selten in zweiwöchigen Zyklen vollständig „auslieferbar“ ist, können Sprints zur Strukturierung der Arbeit genutzt werden. Die Teams arbeiten auf klar abgegrenzte Teilziele hin – etwa ein erstes Reporting-Cockpit oder die Anbindung eines Subsystems. Wichtig ist hier ein realistisches Inkrement-Verständnis: ein MVP (Minimum Viable Product) muss nicht „perfekt“, sondern „nutzbar“ sein.
3. Daily Scrum: Transparenz statt Mikromanagement
Täglich 15 Minuten, in denen jedes Teammitglied seine Fortschritte, Hindernisse und nächsten Schritte teilt – das klingt simpel, wirkt aber stark. Das Daily Scrum sorgt für Klarheit, Motivation und frühes Erkennen von Blockaden, z. B. bei Transportfreigaben oder Testdaten. In großen SAP-Projekten, in denen oft viele Rollen beteiligt sind, schafft das tägliche Treffen eine dringend nötige Fokussierung.
4. Agile Werte leben – trotz Governance
Scrum bedeutet mehr als Rollen und Meetings. Es bedeutet: Vertrauen vor Kontrolle, Lernen vor Perfektion und Zusammenarbeit vor Silodenken. Gerade in SAP-Projekten mit historisch gewachsenen Strukturen kann das ein Kulturschock sein – aber auch ein Katalysator für echten Fortschritt.
Beispiel: Fehler werden in vielen SAP-Projekten eher „vertuscht“ als thematisiert. Die Retrospektive im Scrum-Rhythmus schafft einen sicheren Raum für Verbesserungen – wenn sie ehrlich genutzt wird.
Wo Scrum an seine Grenzen stößt
1. Starre Release-Zyklen und Wasserfall-Vorgaben
In vielen Unternehmen gibt es festgelegte Go-Live-Termine und Release-Fenster, die wenig Spielraum für echte Iteration lassen. Auch regulatorische Anforderungen oder zentrale Teststrategien (z. B. für GxP, IFRS, HGB) limitieren die Flexibilität.
Lösung: Scrum nicht als Ersatz für Governance sehen, sondern als agiles Element im Gesamtprojekt – kombiniert mit klassischer Planung, z. B. im hybriden Modell.
2. Fehlende agile Erfahrung im Team
Scrum verlangt Eigenverantwortung, Selbstorganisation und gegenseitiges Vertrauen – Qualitäten, die in klassisch geführten SAP-Projekten oft wenig geübt sind. Ohne Schulung, Coaching und klares Commitment kann Scrum schnell zur „Etikette“ ohne Wirkung verkommen.
3. Unklare Rollenverteilung
Gerade in großen SAP-Projekten mit vielen parallelen Streams wird oft unklar, wer wirklich Entscheidungsmacht besitzt. Der Product Owner wird von drei Stakeholdern „ferngesteuert“, der Scrum Master wird zum Task-Manager – und das Entwicklungsteam zum Abarbeiter von Tickets. Echte Agilität? Fehlanzeige.
Fazit: Scrum kann SAP – aber nur, wenn es richtig angepasst wird
Scrum kann auch in SAP-Projekten großen Mehrwert liefern: mehr Transparenz, schnellere Wertschöpfung, bessere Zusammenarbeit. Voraussetzung ist jedoch, dass die Methoden nicht blind übernommen, sondern an das SAP-Umfeld angepasst werden.
Wichtiger als das Framework ist die Haltung: Agile Werte wie Offenheit, Mut und Fokus müssen im Projekt gelebt werden – sonst bleibt Scrum nur eine Methode unter vielen.