Wasserfall war gestern? Hybride Ansätze im SAP-Projektalltag

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Klassisches Wasserfallmodell oder vollagil mit Scrum? Diese Frage dominiert seit Jahren viele SAP-Projektdiskussionen – doch sie greift oft zu kurz. Denn gerade im komplexen SAP-Umfeld stoßen reine Methoden schnell an ihre Grenzen. Die Lösung: hybride Ansätze, die das Beste aus beiden Welten vereinen.

Aber was bedeutet „hybrid“ konkret im SAP-Kontext? Welche Kombinationen haben sich in der Praxis bewährt? Und wie lassen sich Planbarkeit und Flexibilität unter einen Hut bringen? Zeit für einen realistischen Blick auf den Projektalltag – jenseits von Dogmen.

Warum entweder-oder nicht mehr reicht

Das Wasserfallmodell bietet Struktur, Planbarkeit und klare Abnahmephasen – ein Vorteil, wenn Anforderungen weitgehend stabil sind. In SAP-Implementierungsprojekten war es lange Standard. Doch der zunehmende Wunsch nach Nutzerzentrierung, kürzeren Feedbackzyklen und iterativer Entwicklung stellt das starre Phasenmodell auf die Probe.

Agile Methoden wie Scrum bringen Dynamik, Nutzerfokus und schnelle Lernschleifen. Doch sie tun sich schwer mit komplexen SAP-Landschaften, langen Vorlaufzeiten und Schnittstellen zu Drittsystemen.

Die Realität vieler SAP-Projekte liegt daher dazwischen. Und genau hier kommen hybride Modelle ins Spiel.

Was versteht man unter hybriden Ansätzen im SAP-Projektkontext?

Ein hybrider Projektansatz kombiniert klassische und agile Elemente – entweder auf der strukturellen, methodischen oder organisatorischen Ebene:

  • Strukturell: Projektphasen wie Konzeption und Integrationstests folgen klassischen Abläufen, während Entwicklung oder Customizing agil erfolgen.
  • Methodisch: Planungs- und Steuerungslogiken (z. B. Projektpläne, Milestones) stammen aus dem Wasserfall, während Teams agil mit Backlogs, Sprints und Retros arbeiten.
  • Organisatorisch: Stakeholderführung und Gremienarbeit bleiben klassisch-hierarchisch, operative Teams sind hingegen selbstorganisiert und crossfunktional unterwegs.

Solche Setups entstehen nicht im Lehrbuch – sondern aus der Notwendigkeit heraus, mit komplexen Rahmenbedingungen umzugehen.

Praxistaugliche Hybridmodelle – drei Beispiele

1. V-Modell + Scrum: Die häufigste Kombination

Ein übergeordnetes Projekt folgt dem V-Modell (z. B. mit einem Blueprint, Phasen und Go-live-Ziel). Innerhalb der Realisierungsphase arbeiten Entwicklerteams jedoch iterativ in Scrum- oder Kanban-Zyklen.

Vorteil: Es gibt einen klaren Gesamtplan – aber gleichzeitig genügend Agilität auf Team-Ebene, um Nutzerfeedback früh zu integrieren.

2. Stage-Gate + Timeboxes: Agil in definierten Phasen

Das Projekt folgt klassischen Gates (Kick-off, Design-Freeze, Integrationstest), zwischen denen agile Timeboxes genutzt werden. In diesen Timeboxes liefert das Team in kurzen Iterationen nutzbare Ergebnisse, die vor dem nächsten Gate bewertet werden.

Vorteil: Strukturierte Entscheidungen und agile Wertschöpfung wechseln sich ab – ideal für größere Unternehmen mit Governance-Vorgaben.

3. Agile Core + Klassische Satelliten

Der „Kern“ des Projekts (z. B. das Customizing im S/4HANA-Umfeld) wird agil entwickelt, während periphere Teilprojekte (z. B. Migration, Stammdatenbereinigung, Schnittstellen) klassisch organisiert sind.

Vorteil: Die Komplexität wird reduziert – jedes Teilprojekt bekommt die Methodik, die zu seiner Dynamik passt.

Worauf es beim hybriden Arbeiten wirklich ankommt

1. Klare Rollen und Verantwortlichkeiten

Hybride Ansätze erzeugen neue Schnittstellen: Wer entscheidet was? Wer priorisiert Anforderungen? Wer verantwortet das Backlog, wenn übergeordnete Planung klassisch erfolgt?

Tipp: Definiere klare Rollen und Übergabepunkte – z. B. zwischen Projektleitung (klassisch) und Product Owner (agil).

2. Transparente Steuerung

Ein hybrides Setup funktioniert nur, wenn alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis über Fortschritt, Prioritäten und Risiken haben.

Tipp: Kombiniere klassische Meilensteine mit agilen KPIs wie Velocity, Burndown oder Review-Ergebnissen – so entsteht ein ganzheitliches Steuerungsbild.

3. Mut zur Flexibilität

Hybride Ansätze leben von Anpassung. Was im Kick-off geplant wurde, muss im Projektverlauf möglicherweise angepasst werden. Das ist kein Scheitern – sondern gelebte Agilität.

Tipp: Plane regelmäßige „Methoden-Retros“ ein, in denen Teams und Projektleitung reflektieren, ob das Setup noch passt.

Herausforderung Kultur: Nicht jedes Team ist bereit für Hybrid

Methodik ist nur ein Werkzeug – entscheidend ist die Haltung dahinter. Hybrides Arbeiten verlangt von allen Seiten Offenheit, Lernbereitschaft und die Fähigkeit, mit Widersprüchen umzugehen.

Besonders in klassisch geprägten SAP-Organisationen kann das zu Spannungen führen:

  • Agile Teams erwarten schnelle Entscheidungen – klassische Steuerungsgremien tagen monatlich
  • Fachbereiche wollen Flexibilität – Projektleitung verlangt „Change Requests“
  • Das agile Team arbeitet inkrementell – das PMO will komplette Feature-Dokumentation vor Start

Lösung: Bewusstes Erwartungsmanagement, aktives Changemanagement und erfahrene Moderation zwischen den Welten.

Fazit: Hybride Ansätze sind keine Notlösung – sondern Realität

Wasserfall oder agil? Diese Frage stellt sich im SAP-Projektalltag kaum noch. Zu komplex sind die Anforderungen, zu unterschiedlich die Stakeholder, zu dynamisch die Technologien. Hybride Projektansätze bieten die nötige Flexibilität, ohne die Kontrolle zu verlieren.

Aber: Hybrides Arbeiten ist kein Selbstläufer. Es braucht Klarheit, Kommunikation – und die Bereitschaft, gewohnte Muster zu hinterfragen. Wer das beherzigt, macht aus einem vermeintlichen Kompromiss einen echten Wettbewerbsvorteil.

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